Kunst und Kultur
Reisen im Kopf: Go west – Lamar Valley in Wyoming, ©htnr / fotolia.com
Marlene 30.5.2017

Reisen im Kopf: Wyoming – Wild Wild West

Reisen im Kopf ist so eine Sache. Man startet bei einem plötzlich auftauchenden Bild, einem Gedanken oder einer Idee. Dann gehts dahin mit der eigenen Fantasie und dem, was man halt so weiß über das Territorium, in das man sich virtuell vorwagt.

Reisen im Kopf, Teil 2

Und dann passiert meist Folgendes: Die Gedanken strömen in völlig unterschiedliche Richtungen und vornehmlich ohne erkennbares System, die Bilder, die entstehen, und die Ebenen des Plots sind mannigfach. Jetzt kommt es darauf an, sachte Ordnung hineinzubringen und die Zwischenstopps der Reise fein zu gliedern, damit man am Ende das bekommt, worum es geht: ein in sich geschlossenes Bild, eine quasi erlebte Reise, die aber aus mehr besteht als dem physischen Abklappern einzelner Stationen. Beim Reisen im Kopf kommt man sozusagen vom Hundertsten ins Tausendste – und kann munter drauflos assoziieren und Dinge, Menschen, Ereignisse miteinander in einen Kontext setzen. Das ist das Schöne daran, denn wenn man einen Kontext herstellt, beginnt man besser zu verstehen und mehr zu sehen. Zumindest geht es mir so, wenn ich meinen eigenen Film „drehe“.

Mythos Wilder Westen

Nun also zieht es mich von Idaho nach Wyoming. Die Reise nach Idaho „schenkte“ mir ja eine Postkarte, die mir ein bis dahin fremder Mensch über www.postcrossing.com freundlicherweise geschickt hat. Zu dieser Postkarte haben sich noch einige andere gesellt, bis dato allerdings keine aus Wyoming. Mit Idaho packte mich aber die Imagination des Wilden Westens. Mein nächstes Ziel könnte auch das nördlicher gelegene Montana sein oder Utah, die beide wie Wyoming zu den sogenannten Mountain States gehören, aber nein, Wyoming verbinde ich einfach mehr mit dem, was wir gemeinhin den Wilden Westen nennen. Ich denke: Nicht umsonst ist sein „Kosename“ auch Cowboy State. 

Ja, und was für eine Bilderwelt – zugegebenermaßen klischeehaft, aber mächtig – tut sich da auf bei dem Wort Cowboy? Der Cowboy, das ist die Freiheit, das ist die Quintessenz von Abenteuer, das ist Leben inmitten und mit der wildesten Natur, das ist Schlafen unter dem Sternenzelt. Das ist vor allem der schweigsame Mann mit Cowboyhut und Sporenstiefel, der über die Weiten der Prärie und entlang endloser Gleise der Eisenbahnlinien dem ebenso endlosen Horizont entgegen reitet, dabei riesige Viehherden beisammenhält und nebenbei auch noch den veritablen Revolverhelden gibt, wenn es drum geht, Besitz zu verteidigen und Gerechtigkeit zu üben; wobei Letzteres eher dem Sheriff zugeschrieben wird. Dass hierbei die indianischen Ureinwohner größtenteils und brutal auf der Strecke blieben, ist bekannt, nichtsdestotrotz sind sie alle drei Archetypen des mystifizierten Wilden Westens. Dieser fand dann auch Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in die deutschsprachige Kultur. Stichwort: Karl May und seine Figuren Winnetou und Old Shatterhand, und auch nicht zu vergessen Buffalo Bill’s Wild West Show, die gegen Ende des Jahrhunderts in zwei Tourneen durch das Deutsche Reich tourte. Am Anfang all dessen standen aber Briefe von Auswanderern, die den Sprung über den großen „Teich“ gewagt hatten und ihren Familien in der alten Heimat von ihrem neuen Leben in diesem wirklich noch wilden Westen berichteten.

Aber zurück nach Wyoming, in diese archetypische Westernlandschaft des Nordens. Hier ist der älteste und wohl berühmteste Nationalpark der USA (96 Prozent seiner Fläche liegen in Wyoming, 3 Prozent in Montana und 1 Prozent in Idaho) beheimatet; mit seinen 8.987 Quadratkilometern wurde er 1978 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt: der Yellowstone Nationalpark, der Teil der Rocky Mountains ist. Und hier sind sie zu Hause, die Bisons, Grizzlybären und Wölfe, hier kann man auch beeindruckende Geysire bewundern. Der Yellowstone ist aber nicht der einzige Nationalpark in Wyoming, südlich von diesem liegt der Grand-Teton-Nationalpark, der aufgrund der mächtigen Teton-Bergkette ein wahres Paradies für Bergsteiger und Rafter ist.

Übrigens: Besonders gut gelingt das Reisen im Kopf mit Briefmarken und Motiven, die in andere, mitunter exotische Gefilde führen und der Imagination auf die Sprünge helfen:

In Wyoming dominieren neben den Gebirgszügen der Rocky Mountains die Great Plains – weitläufige Prärien. Genau in dieser Landschaft lässt sich auch dieses beeindruckende Tier, das nicht umsonst die Flaggen Wyomings ziert, sehr gut imaginieren: der Amerikanische Bison. Man sieht die mächtigen Rinder förmlich, wie sie in Herden auf schier unendlich scheinenden Weideflächen grasen, am Horizont schneebedeckte Gipfel der Rocky Mountains. Wenn man es nicht weiß, dann ahnt man es bereits: In Wyoming sind die Winter klirrend kalt und die Sommer in den Prärien heiß und trocken. Wyoming ist auch von Wetterextremen wie Blizzards (Schneestürme) oder Chinooks (warme Fallwinde) geprägt.

Reisen im Kopf: Die Great Plains in Wyoming, © Winterbilder / fotolia.com
Die Great Plains in Wyoming, © Winterbilder / fotolia.com

Es verwundert also nicht wirklich, wenn die kanadisch-US-amerikanische Autorin E. Annie Proulx meint, Wyoming sei wohl ein klassisches Männerland, das sie aber sehr liebe. In einem Interview mit dem deutschen Magazin Spiegel sagt sie: „… Ich fuhr los, und als ich den Missouri überquerte, hatte ich das Gefühl von etwas Unbekanntem. Ein zarter Schnee bedeckte ein Stoppelfeld mit gelbem Gras. Plötzlich entstand aus dieser Schneedecke und dem Gelb, das da hindurchschien, eine Farbe, wie ich sie noch nie gesehen hatte, sich kräuselnde Wellen von flirrendem Violett. Wie wunderbar, so begrüßt zu werden! Ich mochte die Ausblicke, diesen endlosen Himmel 150 Meilen weit – eine befreiende Erfahrung. Ich war verliebt in diese Landschaft, in die Berge, in den Himmel. Ich bin dann innerhalb eines Jahres dorthin umgezogen.“ Vieles von „ihrem“ Wyoming hat sie in einer Kurzgeschichte festgehalten, einer Kurzgeschichte, die 2005 von Meisterregisseur Ang Lee verfilmt und im Jahr darauf mit drei Oscars ausgezeichnet wurde: Brokeback Mountain. Ein Film, der mit dem Klischee des einsamen Cowboys in traumhafter Landschaft spielt und dabei durchaus die männlich dominierte Western-Mythologie bedient, um schlussendlich Leben und Scheitern der beiden Protagonisten meisterhaft vor uns auszubreiten. Mit einem klassischen Western der goldenen Hollywood-Ära (John Huston als Regisseur, John Wayne als Hauptdarsteller etwa) hat dieser Film nichts gemein – und vermittelt doch in grandioser Weise das, was einen Western ausmacht: das harte Leben (vermeintlich) raubeiniger Männer in garantiert raubeiniger Natur.

Ja, E. Annie Proulx schuf nicht nur die beiden tragischen Helden aus Brokeback Mountain, aus ihrer Feder stammt auch der ebenfalls verfilmte Bestseller „Schiffsmeldungen“, und sie schrieb einen Roman, der für unsere Briefmarken-Plattform beinahe programmatisch wirkt: „Postkarten“. Auch hier geht es um Raues und Grobes. Ein Mann flieht nach einer schrecklichen Tat, und alles, womit er in Hinkunft mit seiner Familie in Verbindung treten wird, sind Postkarten – von denen er aber nicht weiß, ob sie jemals gelesen werden. Eine vertiefende Rezension zu diesem Roman finden Sie in der FAZ.

Reisen im Kopf: Buffalo Bill (links) mit dem US-Army-General Nelson Appleton Miles bei der Inspektion eines Indianerlagers in der Pine Ridge Reservation (Ausschnitt einer Fotografie von John C. H. Grabill, 1891), gemeinfrei, Wikimedia commons
Buffalo Bill (links) mit dem US-Army-General Nelson Appleton Miles bei der Inspektion eines Indianerlagers in der Pine Ridge Reservation (Ausschnitt einer Fotografie von John C. H. Grabill, 1891), gemeinfrei, Wikimedia commons

„Männerland” Wyoming

Ja, dieses Wyoming ist wohl ein sogenanntes Männerland – ob das irgendwie damit zusammenhängt, dass der Staat der bevölkerungsärmste der USA ist? Apropos Männer: Als „gestandenes“ Mannsbild des alten Wilden Westens geht wohl auch der bereits erwähnte Buffalo Bill durch. Der berühmte Bisonjäger gilt durch seine 1883 ins Leben gerufene Buffalo Bill’s Wild West Show gemeinhin als Begründer des modernen Showbusiness. Was er mit Wyoming zu tun hat? Nun, er gründete den Ort Cody. Die Stadt bezeichnet sich selbst als „Rodeo Capital of the World“. Und Cody trägt Buffalo Bills Namen, denn eigentlich hieß er William Frederick Cody. Aber: kein Cowboy ohne Ureinwohner. Und so schätze ich, dass mich meine nächste Reise im Kopf zu diesen führen wird. Davor aber hier zwei Briefmarken des Haudegens Buffalo Bill:

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