Lifestyle
Eine Postkarte für Freunde
Marlene 19.4.2017

Von Postkarten und Briefmarken

Wie cool ist analog?

Zugegeben, es ist eine feine Sache, sich z. B. im Urlaub nicht mehr um postalische Adressen der lieben Anverwandten oder Freunde kümmern zu müssen, es ist auch eine feine Sache, sich nicht mehr die Finger wundschreiben zu müssen – zumal die Qualität der eigenen Handschrift mangels Übung schon mal ordentlich zu wünschen übrig lässt. Geradezu peinlich wird es nämlich, wenn man das Eigene nicht mehr lesen kann und gar vor Publikum am schicken Bartisch zig Anläufe beim Schreiben einer Postkarte nehmen muss … nicht der feinen Urlaubsdrinks, sondern der krakeligen Schrift wegen. Tja, und tolle digitale Postkarten-Apps gibts obendrein. Das ist schnell gesagt die eine, die praktische Seite der Medaille.

Wie sieht nun aber die zweite Seite der Medaille aus? Können denn Postkarten überhaupt cool sein? Ja, klar und definitiv! Denn ehrlich: Wer von uns liebt es nicht, Postkarten – vielleicht auch noch mit hübschen Briefmarken frankiert – zu BEKOMMEN? Beispiel gefällig, welche Filme einfache Postkarten auslösen können – ein bisschen Wille und Fantasie des Empfängers vorausgesetzt :-)?

Where the hell is Idaho?

Urlaubsgrüße aus Idaho (©2001 USPS)
Briefmarke aus Idaho (© 2001 USPS)

Letzte Woche war es, als ich eine Postkarte aus Idaho bekam. Idaho! Genauer aus Boise, der Hauptstadt dieses US-amerikanischen Bundesstaats. Nicht, dass mir das etwas gesagt hätte, aber das Bild war so markant – Gebirgskette im Hintergrund, Indian-Summer-Farben, glitzernder See im Vordergrund –, dass ich neugierig wurde. Nicht nur auf den Absender und das, was er mir geschrieben hatte – bitte, ich kannte und kenne ihn nicht persönlich! –, sondern auch auf den Ort, die Umgebung, das Leben, das dort auf eine ganz bestimmt andere Weise zu führen ist als hier bei uns im eher östlichen Kontinentaleuropa …. Natürlich las ich die Grüße, die vom Nordwesten der USA an mich geschickt wurden. Der Absender heißt Timothy O’Hara – was für ein amerikanischer Name!

Meine Reise im Kopf

Und schon war ich in einem Film, dessen erste Sequenz mit einer hübsch kitschigen Ansichtskarte begann. Natürlich kamen amerikanische Ureinwohner, im konkreten Fall die Shoshonen, darin vor und Siedler, die auf dem Weg in den kalifornischen Goldrausch durch den Nordwesten mehr durchmarschierten als hier Halt machten; dabei kamen sie jedenfalls an beeindruckenden Bergen und Seen vorbei. Die richtige Kulisse für meinen ganz persönlichen Film bot u. a. der Hells Canyon, der tiefer als der Grand Canyon ist.

Vom Sänger zum Schriftsteller

Überhaupt spielte die Natur in meinem Film eine tragende Rolle – neben den eher schweigsamen Protagonisten. Gar nicht schweigsam ist ja der – nomen est omen – Berghüttensänger (amerikanisch: Mountain Bluebird), der immerhin der Nationalvogel Idahos und Nevadas ist. Ein waschechter Singvogel aus der Familie der Drosseln.

Der schillernde Bergüttensänger oder Mountain Bluebird - Nationalvogel Idahos
Mountain Bluebird, Berghüttensänger, Nationalvogel Idahos und Nevadas (http://www.naturespicsonline.com/ states „Attribution-ShareALike 2.5 as described by Creative Commons)
Mountain Bluebird auf Briefmarke
Mountain Bluebird auf Briefmarke (© shutterstock.com)

Und vor lauter Eintauchen in Idaho kam ich vom Singvogel auf den Literatengott. Dieser wirklich wilde Westen muss schon was haben – immerhin suchte sich der große Ernest Hemingway dieses herbe Fleckchen Erde zum Jagen und Fliegenfischen und letztlich auch zum Sterben aus. Das erste Mal verschlug es ihn 1939 hierher, im Sun Valley schrieb er seinen Jahrhundertroman „Wem die Stunde schlägt“ – wohl auf seiner Schreibmaschine – fertig. Nachdem er nach Castros Machtübernahme in Kuba die Karibikinsel 1959 verlassen hatte, kaufte er sich ein Haus am Ortsrand des Städtchens Ketchum. Es gefiel ihm ganz einfach hier im Edelsteinstaat, wie Idaho auch genannt wird. Allerdings setzte er nur zwei Jahre später – 1961 – seinem an Dramen ja nicht gerade armen Leben an diesem Ort auch ein Ende, und Ketchum wurde zur Pilgerstätte für echte Hemingway-Fans. An der mangelnden Attraktivität der ungebändigten Natur dieser uramerikanischen Region lag sein Freitod wohl nicht, davon darf man bei Hemingway ausgehen.

Tja, ich komme fürs Erste zum Schluss: Eine letztgültige Antwort auf meine Eingangsfrage „Wie cool ist analog?“ gibt es heute und hier wohl nicht, auch ein Ranking bietet sich nicht wirklich an, aber fein sind sie doch, diese handschriftlichen Sachen, diese Überraschungen – wildfremde Menschen schicken einander aus allen Teilen der Welt Ansichtskarten, die Vernetzung funktioniert hier anders als im Netz –, mit denen man partout nicht rechnet. Das Haptische. Es verleitet dazu – natürlich oft genug online –, weiterzurecherchieren und ermöglicht spannende Reisen im Kopf. Es ist faktisch und anfassbar. Es gibt einem wieder ein anderes Verständnis von Zeit.

Postcrossing – die Postkarten-Überraschung

Wer selbst Überraschendes erleben oder tun möchte, gehe auf die Seite https://www.postcrossing.com. Zum Thema Sammeln von Postkarten – und dafür ist Postcrossing ja geradezu prädestiniert – gibt es hier einen interessanten Artikel meiner Kollegin zu lesen. Ich für meinen Teil werde nun zwei Dinge tun: 1.) Eine Postkarte aus Wien – selbstverständlich mit einer hübschen Briefmarke versehen – an eine Frau im fernen Russland schicken und 2.) im Geiste von Idaho erstmal nach Wyoming wandern. Denn der wilde Westen gibt noch so einiges her …

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